Geschichte
Reinach: vom Dorf zur dörflichen Stadt

Wer als Nichtbasler von Reinach hört, denkt wahrscheinlich spontan an die gleichnamige aargauische Ortschaft, die seit altersher einen weit über die Kantonsgrenze hinaus reichenden Ruf als Tabakmetropole geniesst. Dem basellandschaftlichen Reinach geht keine solche Empfehlung voraus: Obwohl sich seine Geschichte bis in die gallo-römische Zeit zurückverfolgen lässt, blieb seine Existenz ausserhalb des engeren regionalen Rahmens lange Zeit verborgen - es war eines unter vielen kleinen Bauerndörfern.

Vom 16. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution, d.h. bis zum Einmarsch der französischen Truppen im Jahre 1792, gehörte es zum Fürstbistum von Basel, das von Pruntrut aus verwaltet wurde. In Reinach befanden sich damals das Zollamt und das birseckische Salzmagazin. Unter französischer Herrschaft wurde Reinach dann für kurze Zeit Bezirkshauptort; erst mit dem Wiener Vertrag von 1815, der das Birseck dem Kanton Basel und damit der Eidgenossenschaft zusprach, wurde sein Schicksal mit jenem unseres Landes verknüpft.

Mit seinen etwas mehr als 1'200 Einwohnern war Reinach auch noch zu Anfang des letzten Jahrhunderts ein reines Bauerndorf. Nebst einem grossen Rebberg, der heute beinahe vollständig überbaut ist, zeichnete sich damals der Reinacher Bann durch ausgedehntes Acker- und Wiesengelände aus. Noch bis in die dreissiger Jahre bot sich das heutige zentrale Schulgelände der Gemeinde mit dem Bachmatten-, dem Lochacker- und dem Weiermattschulhaus als weite offene Flur dar: Es war - wie der Name schon andeutet - sumpfig und teilweise sogar Schilf bestanden, so dass sich auch Störche hier wohlfühlen konnten. An die Reinacher Störche von ehedem erinnern sich heute nur noch die älteren Reinacher; an Meister Langbein kann es somit nicht liegen, wenn sich Reinach, das auch noch um 1950 erst 3'475 Einwohner zählte, seit 1965 stolz in die Liste jener schweizerischen Gemeinden einreiht, die aufgrund der die 10'000-Grenze überschreitenden Einwohnerzahl den Anspruch auf die Bezeichnung "Stadt" erheben können.

Den Beginn der stürmischen Reinacher Bevölkerungsentwicklung brachte eigentlich das Jahr 1907, das der abseits der damaligen Jurabahn liegenden Gemeinde mit der Eröffnung der Tramlinie Basel - Aesch erstmals Schienenanschluss an die nahegelegene Rheinstadt verschaffte. Reinachs Einwohnern boten sich jetzt einerseits die grossen Vorteile der näher gerückten Stadt mit ihren vielfältigen Erwerbsmöglichkeiten und dem reichen kulturellen Angebot, andererseits lockten aber auch ländliche Wohnruhe und grosse Baulandreserven immer mehr Neuzuzüger ins Birsecker Dorf. Und so begann sich Reinach - vor dem Zweiten Weltkrieg zunächst langsam, nach 1950 mit zunehmender Motorisierung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt beschleunigt - vom Bauerndorf zur Pendler- und Agglomerationsortschaft zu wandeln, die Ende 1988 18'063 Einwohner zählte und damit, zusammen mit Allschwil, an der Spitze der 73 Baselbieter Gemeinden steht.


Bürger und Einwohner

Gleichzeitig mit der Erschliessung neuer Quartiere und der von Jahr zu Jahr zunehmenden Bautätigkeit zeichnete sich auch ein innerer Wandel des ehemals bäuerlichen Dorfes ab. Er lässt sich nicht zuletzt auch an der Tatsache ablesen, dass der Anteil der Reinacher Bürger an der Bevölkerung ständig sank: 1837 kamen auf 637 ansässige Reinacher Bürger nur gerade 55 "Fremde", schon hundert Jahre später war dieses Verhältnis auf den Kopf gestellt, und so zählte man 1941 auf 744 Ortsbürger bereits 2069 Niedergelassene. Obwohl 1965 ein neues Bürgerrechtsgesetz in Kraft getreten ist, das die Aufnahmepraxis von Neubürgern vereinfacht und erleichtert, hat sich bis anfangs der Achtziger Jahre der relative Bürgeranteil an der Gesamteinwohnerzahl noch weiter verkleinert. Seither ist er wieder im Steigen begriffen, so dass der Anteil der Reinacher Bürger in Reinach wieder über 10% stieg.




Bürgergemeinde und Einwohnergemeinde

So klein der Kern der Reinacher Bürger auch ist, er hat seine Bedeutung, und sie ist ihm durch die Kraft des Gesetzes garantiert. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die Geschichte der Baselbieter Bürger- und Einwohnergemeinden aufzurollen. Sie verliert sich im Dunkel der frühmittelalterlichen Geschichte. Doch eines muss festgehalten werden: Während heute im Bewusstsein der Bevölkerung wie auch im täglichen Geschäftsablauf eindeutig die Einwohnergemeinde im Vordergrund steht, und die Bürgergemeinde - nicht nur in Reinach - ein Schattendasein führt, war dieses Verhältnis früher gerade umgekehrt. Und wer glaubt, dass etwa das heute von den Ortsbürgern verwaltete Gut aus dem Vermögen der Einwohnergemeinde ausgeschieden worden wäre, irrt sich gründlich: Es verhält sich gerade umgekehrt! Aufgrund der in der Bundesverfassung von 1848 verankerten Niederlassungs­freiheit kam es im 19. Jahrhundert in der ganzen Schweiz zu einem starken Bevölkerungsaustausch, der schliesslich in der revidierten Bundesverfassung von 1874 zu einer Erweiterung der Rechte der niedergelassenen Schweizer führte. In der Folge sorgten kantonale Regelungen dafür, dass Ver­mögensteile der Bürgergemeinden mit entsprechenden Auflagen und Aufgaben an die Einwohner­gemeinden abgetreten wurden. In Reinach fand diese Neuordnung, die eine Ausscheidung des allgemein öffentlichen Zwecken dienenden Vermögens und damit eine getrennte Haushaltführung nach sich zog, später als in anderen Baselbieter Gemeinden statt. So einfach, wie sich das anhört, ging die Ausscheidung von Allmend- oder Bürgergut allerdings nicht vor sich, vielmehr wurde von Einwohner- und Bürgergemeinde in langwierigen Prozessen, die sich über mehrere Jahre hinzogen, um den Besitz von Land, Wald und Institutionen gestritten. Erst 1888 konnte ein Schlussstrich unter dieses Kapitel der Reinacher Geschichte gesetzt werden, und erst seit diesem Zeitpunkt gibt es das Nebeneinander von selbständiger Bürger- und selbständiger Einwohnergemeinde. Von der Verwaltung her blieb allerdings das Schicksal der Reinacher Bürgergemeinde noch bis 1912 eng mit jenem der Einwohnergemeinde verknüpft, denn solange war der Gemeinderat zugleich auch Bürgerrat. Erst eine von 42 Bürgern am 21. Januar 1912 eingereichte Eingabe setzte dieser schwierigen «Ehe» ein Ende: Sie verlangte die Wahl und Einsetzung eines Bürgerrates, und seither ist unbestritten, dass nicht der Gemeinde-, sondern der Bürgerrat verantwortlich für die Bürgergemeinde zeichnet.


Das Gemeindewappen

"Für die Schweizerische Landesausstellung schufen Heraldiker 1939 für viele Gemeinden Wappen zur farbenfrohen Ausschmückung des "Landi-Höhenweges". Auch Reinach erhielt damals ein Wappen, das vom Gemeinderat am 14. März 1939 genehmigt wurde. Es war wohl heraldisch korrekt, entsprach aber graphisch neueren Ansprüchen nicht unbedingt. Die Subkommission für Gemeindewappen empfahl darum Abänderungen, die bei der Bereinigung der Wappen im Jahre 1949 vom Gemeinde- und Bürgerrat in der heutigen Ausführung genehmigt wurden. Es übernimmt aus dem ersten Wappen den Bischofsstab und die Attribute des Kirchenpatrons St. Nikolaus. Mit den Farben Silber und Blau betont der gespaltene Schild die Zugehörigkeit zum bischöflichen Amt Birseck; der rote Stab (ohne Krabben) erinnert überdies an das Wappen des Bistums Basel."

Quelle: Windler, Hans, «Reinach BL, Beiträge zur Heimatkunde einer jungen Stadt», Liestal 1975.
Einleitung: «Reinach - vom Dorf zur dörflichen Stadt»: René Salathé, Dr. phil., Reinach


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